Für Deutschland und Hannover 96 bist Du in Tokio am Start gewesen. Es waren besondere Spiele. Nimm uns mal mit. Wie war es?
Ich fange mal ganz am Anfang an: Ein kleines Mädchen, das gerne zu den Olympischen Spielen möchte. Zuerst habe ich damit natürlich gar nicht so richtig gerechnet. Mit der Teilnahme ist für mich ein Traum in Erfüllung gegangen. Durch die Verschiebung und Corona hat das Ganze einen kleinen Beigeschmack erhalten. Aber ich bin trotzdem froh, das erste Mal dabei gewesen zu sein.
Es war natürlich eine stressige Zeit, mit der ich so nicht gerechnet habe. Es gab viele Formalitäten, die schon von vornherein erfüllt werden mussten: Selbstverständlich viele Testungen und vor Ort ein sehr strenges Kontroll- und Anmeldeverfahren. Wir hatten eine zentimeterdicke Mappe vorbereitet, um überhaupt einreisen zu können. Bei meinem Bruder Eike war das 2016 nicht so.In Japan ging es dann zunächst mit dem DLV ins Trainingslager nach Mijazaki. Wir sind zwölf Stunden geflogen, mit Zwischenlandung in Tokio. Wir hatten dann einige Tage zum Akklimatisieren, zum Auskurieren des Jetlags und zur finalen Vorbereitung. Das war alles wirklich nett und die Japaner haben uns jeden Wunsch von den Lippen abgelesen. Und dann ging es (zurück) nach Tokio. Das Highlight meiner Karriere!
Olympisches Dorf und Deutsches Haus waren dann die nächsten Etappen.
Das olympische Dorf mit den großen Gebäudekomplexen und den Kantinen ist beeindruckend. Da war ich erstmal baff. Ein richtiges Dorf – nur mit Hochhäusern. Alles neu und es ist wirklich verrückt, dass das alles durch die Verschiebung ein Jahr freigehalten wurde. Das kann man sich kaum vorstellen. Im Deutschen Haus hatte ich ein Appartement mit der Speerwerferin Christin Hussong. Da alle Athletinnen und Athleten 48 Stunden nach dem Ende ihres Wettkampfs aufgrund der Corona-Regeln abreisen mussten, war die Anzahl natürlich sehr übersichtlich. Aber dafür hatten wir ein Appartement zu zweit. Das war auf jeden Fall nicht schlecht.
Wie war es im Stadion?
Das Stadion kannte ich schon von der Tribüne, aber am Wettkampftag war ich das erste Mal auf der Tartanbahn. Um dorthin zu kommen, läuft man ewig durch die Katakomben. Im Kontrollraum wird dann noch mal alles überprüft und alle Logos abgeklebt. Und dann geht man in das riesige Stadion und es eröffnet sich einem diese Dimension. Das Stadion ist riesig. Das ist wirklich schön. Davon darf man sich aber nicht ablenken lassen und muss im Fokus bleiben. Aber ich habe mir trotzdem einen Moment genommen es zu genießen und mir gesagt: jetzt bist du hier und jetzt gib Vollgas. Das werde ich niemals vergessen.
Dein Wettkampf ist aber nicht wie geplant gelaufen.
Das begann schon in Miyazaki beim Vorbereitungstrainingslager. Ich hatte bereits vor dem Abflug nach Japan Rückenschmerzen, die durch den zwölfstündigen Flug nicht besser geworden sind. In Nagasaki gab es auch nicht die optimalen Hochsprung-Matten-Bedingungen. In der Matte war ein Loch, in das ich gleich bei der ersten Trainingseinheit gefallen bin. Das war für meinen Rücken nicht gut und alles andere als das, was ich mir vorgestellt habe. Ich wollte eigentlich zeigen, was ich mir über die letzten Jahre erarbeitet habe: Als verdienten Lohn, den man sich zurückholt. Aber ich habe mich dann nicht mehr so selbstbewusst gefühlt und wusste nicht, woran ich bin. Es war eine Unsicherheit im Körper und ich wusste nicht, ob ich volle Kanne draufgehen kann. Das braucht man aber im Hochsprung. Zur nächsten Olympiade sind es nur drei Jahre. Dort möchte ich dann schon auf jeden Fall das Finale erreichen. Es ist noch viel Potential vorhanden. Aber ich freue mich auch schon auf die Europameisterschaft in München nächstes Jahr, wo auch meine Familie wieder auf der Tribüne sitzen wird.
Wie viele AthletInnen aus dem Verein hast Du in den vergangenen eineinhalb Jahren Einschränkungen beim Training und bei Wettkämpfen erlebt. Wie bist Du damit umgegangen?
Mir ging es nicht anders als allen anderen SportlerInnen auch. 2020 war die anstrengendste Saison meiner Karriere. Man war komplett aus der Wettkampfroutine raus. Das war am Anfang alles nicht cool. Auch ich war antriebslos und in meinem Mitleid eingelullt. Ich musste für mich lernen zu akzeptieren: das ist so in Ordnung. Während den härteren Lockdowns habe ich auf dem Parkplatz trainiert, sowohl Athletik als auch die Sprungkraft. Zu Hause haben wir dann eine Kraftanlage zum Trainieren aufgebaut. Es war immer eine Überwindung und man musste sich in den Arsch treten. Die Leichtigkeit war auch bei mir verloren gegangen. In dieser Saison hat sich das erst einmal fortgesetzt. Man war sich bis zuletzt nicht sicher, ob die olympischen Spiele wirklich stattfinden. Das gab mir nicht immer die Sicherheit, die ich brauche, um wirklich fokussiert und motiviert das Ganze anzugehen. Der größte Antrieb war bei mir dann immer die Disziplin. Das hat zwischendurch alles keinen Spaß mehr gemacht. Man hat sich immer wieder zu den Einheiten geschleppt, obwohl man keinen Bock hatte. Man wusste ja auch oft nicht, wofür man Vollgas geben soll. Aber die Disziplin und die Routine – die ich mir durch die Freude am Sport vorher erarbeitet habe – haben geholfen, diese Zeit durchzustehen. Und die Belohnung ist, dass es dann auch gleich wieder Resultate gibt. Bei mir zum Beispiel neue persönliche Bestleistungen im Kraftraum und bei den Kniebeugen. Das gibt dann auch Bestätigung. Über Bestleistungen freut sich jeder, auch in den kleinsten und banalsten Sachen.
Wie bist Du eigentlich zum Hochsprung gekommen?
Wenn ich ehrlich bin: durch meinen Bruder. Eike war schon damals unfassbar gut im Hochsprung. Ab 2005 holte er ja regelmäßig die Deutsche Meisterschaft und ich habe das alles mitbekommen und bin mit unserer „Sport-Familie“ immer mitgereist. Ich fand das toll, was mein Bruder gemacht hat und bin so zum Hochsprung gekommen. Wir sind seitdem auch in einer Trainingsgruppe. Natürlich sind wir unterschiedliche Typen und haben unterschiedliche Fähigkeiten. Aber die grundlegenden Sachen trainieren wir schon zusammen. Aber ich trainiere mehr im Bereich der Sprungkraft und Eike mehr in der Beweglichkeit.
Habt Ihr auch eine gemeinsame Wettkampfvorbereitung?
Das ist komplett unterschiedlich. Wir sind ja zwei unterschiedliche Charaktere. Eike hat zur Hochzeit seiner Karriere abends auch mal ein Bier getrunken. Ich habe das eine Zeit lang mal ausprobiert und abends ein Radler getrunken. Aber das war von meinem Bruder abgeguckt. Ich habe das schnell sein lassen und trinke während der Saison eigentlich gar keinen Alkohol. Ich bin auch der Mensch, der am Wettkampftag eine ganz bestimmte Routine hat. Immer die gleiche Wettkampffrisur und immer das gleiche Make-Up – ich mache da für mich etwas Besonderes draus, um mich in den Wettkampfmodus zu bringen. Gleichzeitig wappne ich mich für alle Eventualitäten und habe selbst bei schönstem Sommerwetter zur Sicherheit Regensachen dabei. Eike ist da [lacht] genau das Gegenteil. Der vergisst auch mal etwas zu Trinken oder einen kleinen Snack mitzunehmen. Ich erinnere mich, dass er sich auch schon mal eine Bratwurst durch das Gitter in den Innenraum geben lassen musste, weil er Hunger hatte.
Wie unterstützt Dich Hannover 96?
Ich hole mal etwas weiter aus. Eike und ich haben gemeinsam einen neuen Verein gesucht. Wir waren schon immer ein gutes Team, wollten zusammenbleiben und ich wollte für mein sportliches Engagement eine angemessene finanzielle Wertschätzung bekommen – bis dahin habe ich nichts bekommen und meine Eltern waren meine größten Sponsoren. Nette Athleten haben uns vor gut sechs Jahren auf Hannover 96 hingewiesen. Eike war damals natürlich der erfolgreichere und hat mich in den Verein mit eingeschleust.
Ich habe hier dann super nette Menschen kennengelernt: Immer ehrlich und gutmeinend. Auch während meiner zweijährigen Verletzungsphase wurde ich weiter unterstützt. Sie haben mein Potential einfach weiterhin gesehen und mir Rückhalt gegeben. Allein dafür bin ich Hannover 96 sehr dankbar. Auf dem ganzen Weg hat der Verein mich und meinen Bruder treu begleitet und auch keinen Stress gemacht bezüglich sportlicher Leistungen.
Dann kam so langsam mein Aufschwung. Dazu bin ich seit einem Jahr im Sportförderprogramm der Bundeswehr. Durch diese beiden Förderer ist eine große Selbstständigkeit entstanden und ich bin mit 27 Jahren endlich finanziell unabhängig. Das bringt viel Sicherheit.
Wo können die 96er deine sportlichen Aktivitäten verfolgen?
Innerhalb der Saison bin ich bei Instagram und TikTok und bringe dort die Follower auf den neusten Stand. Bei Facebook bin ich auch, aber nicht so vorbildhaft. Am meisten bekommt man von mir bei Instagram mit, auch wenn ich mir hier nach Tokio eine kleine Pause gönne. Ich brauche jetzt erstmal einen Cut, Zeit mit der Familie und meinem Freund sowie ein paar Sofa- und Essenstage – da höre ich auch mal nicht auf mein Körpergefühl. Aber nach einer Woche kitzelt es dann in den Füßen und man trifft mich auch wieder am Maschsee oder im Erika-Fisch-Stadion.